Viktor E. Frankl – der Entdecker der Proaktivität

Viktor E. Frankl wurde 1905 in Wien geboren, promovierte als Arzt und Philosoph, therapierte als Psychiater in der Wiener Nervenklinik „Am Steinhof“ über 1000 depressive und selbstmordgefährdete Frauen (Klingberg, 2013, S. 81) und – er war Jude. Was er in Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Dachau erleben musste, schildert er in dem Buch „… und trotzdem Ja zum Leben sagen“ eindrücklich und mit psychologisch geschultem Blick. Sein Kernerlebnis war: Vor allem diejenigen konnten unter Strapazen und Qualen, in Kälte, Zwangsarbeit, Hunger und Epidemien ihr Immunsystem aufrecht erhalten und überleben, die folgendes gelernt hatten: „Die geistige Freiheit des Menschen, die man ihm bis zum letzten Atemzug nicht nehmen kann, läßt ihn auch noch bis zum letzten Atemzug Gelegenheit finden, sein Leben sinnvoll zu gestalten. … Leben heißt letztlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“ (Frankl, Viktor E., 1977/2009, (Kindle Edition) S. 103 und 118).

Seinen Weg zu finden ist nicht immer einfach. Straßen in San Diego, USA.
Photo by Abraham Barrera on Unsplash

Den Sinn musste laut Frankl jeder für sich selbst suchen. Manche fanden ihn in Verwandten, auf die sie sich freuten, manche in einem Werk, das sie vollenden wollten, manche im Glauben, sei es als Jude, Christ oder einer anderen Religion. Diese im äußersten Leid gewonnene und somit auf Erfahrung basierende Erkenntnis zeigte Frankl: Der Mensch muss der proaktive Sinngeber und Unternehmer seines eigenen Lebens bleiben, sonst geht er zugrunde.

Diese Erkenntnis wurde zum Ausgangspunkt von Frankls psychotherapeutischem Ansatz, der Logotherapie (vergl. das griechische Wort logos für Wort, Sinn). Seine Gedanken darüber hat er in über 30 Büchern veröffentlicht, ihm wurden weltweit 29 Ehrendoktorate verliehen. Aus einem geknechteten Niemand im KZ wurde so dank der Kraft persönlicher Sinngebung ein Mann, der nicht nur weltweit geachtet wurde, sondern auch für sich selbst den richtigen Sinn fand. Frankl starb 1997. Mit seinem Therapieansatz wurde er wissenschaftlich gesehen der Entdecker der proaktiven Selbststeuerung.

Bewegend und überzeugend sind für mich auch, aber nicht in erster Linie seine akademischen Errungenschaften. Beeindruckend finde ich vielmehr

  • diese im Feuerofen des Leidens erlebte Wirkung, welche die Kraft der persönlichen Sinngebung entfalten kann – bis hinein ins Immunsystem der Menschen unter widrigsten Umständen
  • dass Frankl das so glasklar analysiert hat, dass in dieser Kraft und Macht des Menschen, „die man ihm bis zum letzten Atemzug nicht nehmen kann“, eine FREIHEIT, liegt, nämlich die Freiheit, „sein Leben sinnvoll zu gestalten“, komme, was da wolle
  • dass Frankl diese Freiheit verbunden hat – nicht mit eigenen Wünschen oder individuellen Zielen – , nein, sondern mit dem Leben selbst, also mit allem, was micht umgibt, Menschen, Dinge, Geschichte
  • dass aus der Wahrnehmung dieser Umwelt dann im Einklang mit seinem Selbst eine innere Haltung der Verantwortung entsteht: „Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde“.

Diese innere Haltung einzunehmen, das ist das, was Frankl seinen Patienten in der Logotherapie nahelegte. Diese Haltung kannst du immer einnehmen. Nichts und niemand kann dich daran hindern. Darin liegt deine Würde, Freiheit und deine innere Kraft als Mensch. Diese Haltung nannte Frankl Proaktivität.

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Bücher

Frankl, Viktor E. (1977/2009): … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München: Kösel Verlag. Kindle Edition.
Frankl, Viktor E. (1991): Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. München: Piper.
Klingberg, Haddon, Jr. (2013): Viktor und Elly Frankl. Die Geschichte zweier außergewöhnlicher Menschen. Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Filme

Sinn im Leben finden | Elisabeth Lukas im Gespräch
Elisabeth Lukas ist eine Schülerin Frankls. Kommentar unter dem Video: „Ein sehr wertvolles Gespräch, mit vielen wichtigen Impulsen. Das müsste in den Schulen gelehrt werden.“

MEANING IN EDUCATION: HUSTON C. SMITH INTERVIEWING VIKTOR FRANKL, 1963 Der Titel verspricht zu viel. Es geht nicht um Pädagogik, nur indirekt.  Sehr schöne Erklärung des Wortes Intuition. Rationales Denken führt auf allgemein gültige Zustände. Intuition auf einmalige Sachverhalte.


Viktor Frankl: Why education is failing 1965 – Es geht um das amerikanische Bildungssystem der damaligen Zeit. Frankl moniert die Abwesenheit von echtem Sinnerleben in der Schule.

Veröffentlicht von knurpselknie

Georg alias knurpselknie ist verheiratet, über dreißig Jahre Lehrer, über 20 Jahre Schulleiter, außerdem hat er mehrere Schulen gegründet. Er schreibt über ein Thema, das in seinem Beruf und privaten Leben einen hohen Stellenwert hat: die Fähigkeit, proaktiv zu leben. https://meinsinn.org/ https://knurpselknie.wordpress.com

Ein Kommentar zu “Viktor E. Frankl – der Entdecker der Proaktivität

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